Die Welt tritt uns in all ihren Farben entgegen – und so auch die Bilder, die sich Künstler seit jeher von ihr machen. Dafür war lange Zeit einzig der Pinsel zuständig. Mit unbunten Werkzeugen wie Kohle, Kreide, Rötel und Bleistift (früher wirklich aus Blei) wurden Gemälde skizziert und vorgezeichnet, mit der Tuschefeder konturierte man farbige Illustrationen. Das Zeichnen war bestenfalls eine Hilfskunst.
Erst mit den Künstlern der Renaissance entwickelte sich die Zeichnung zum eigenständigen künstlerischen Medium; mehr dazu lesen Sie im Blog auf freudeamzeichnen.de.
Doch nach wie vor blieb die Zeichnung monochrom. Mit den unterschiedlichen Erdtönen von Rötel kam zwar Farbe ins Spiel, aber eben nur in den rötlichen Tönen. Hinzu kamen allenfalls Kreideweiß und Schwarzkreide, um Motive ins Licht zu setzen oder zu schattieren. Damit war auch schon der Weg zu Pastellkreiden vorgezeichnet.

Die damaligen Naturpigmente kamen nur in flüssigen Medien wirklich gut zur Geltung, nämlich in Wasserfarben (Tempera- oder Aquarellfarben) und später auch in Ölfarben. In den farblosen Flüssigkeiten konnte man die farbgebenden Pigmente in hoher Konzentration auftragen. Die Flüssigkeit verdunstete, die Farben blieben.
Pastellig fürs Porträt
Trockene Medien benötigen innere Stabilität, also Bindemittel, die das Material in eine handhabbare Form bringen. Dafür sorgten gemahlene Kreide und andere Zusatzstoffe wie Haferschleim oder Honig. All dies vermengte man mit Pigmenten und Seifenwasser zu einem Teig („Pasta“), formte daraus Stränge und ließ das Gemisch zu farbigen Pastellkreiden trocknen. Allerdings mischten diese Füllstoffe auch beim Farbauftrag mit und schwächten die ohnehin geringe Intensität: Pastelle erschienen in samtig-matten „pastelligen“ Tönen.
Aus dieser Not machten die Pastellmaler (hier vor allem Malerinnen) des 17. und 18. Jahrhunderts eine künstlerische Tugend. Speziell die delikaten Hauttöne ließen sich hervorragend realistisch abbilden, und die Porträtzeichnung wurde zur hohen Kunst.

Moderne Pastellkreiden hingegen sind äußerst farbstark. Die Farbenchemie des 19. Jahrhunderts war in der Lage, eine ganze Palette künstlicher Pigmenten zu synthetisieren. So konnten sich auch Pastellfarben gegen die kreidigen Füllstoffe durchsetzen und diese übertönen. Gebrauchsfertige, industriell hergestellte Pastelle in allen denkbaren Farbtönen kamen vor 150 Jahren auf den Markt. Heutige Fixiersprays schützen die empfindlichen Zeichnungen, ohne die Farben zu verfälschen.
Genau mit diesem Problem mussten sich aber frühere Pastellkünstler herumschlagen: Wie sollten die delikaten, nur schwach haftenden Farben auf dem Papier konserviert werden? Dafür gab es eine ganze Reihe von komplizierten Methoden, angefangen mit Geräten zum Bedampfen der Pastelle bis zum Besprühen mit Mischungen aus Spiritus, Fischleim und Weingeist.
Nur änderte alle Kunstfertigkeit nichts daran, dass die Farbtöne „pastellig“ blieben und das Zeichnen selbst eine delikate Angelegenheit war, die man besser nicht draußen in der robusten Natur erledigte. Doch genau das gehörte im späten 19. Jahrhundert zum künstlerischen Programm der Impressionisten: Raus aus den Ateliers, hinaus in die Welt!
Dort draußen in der frischen Luft („plein air“) wollten Claude Monet und seine Kollegen das Licht und die Farben flink, farbsatt und direkt festhalten. Pastellkreiden waren empfindlich und Ölfarben unpraktisch und klebrig. Die Bilder brauchten Wochen zum Trocknen, und zum Malen musste man allerhand Werkzeug mitschleppen.
Kreidig oder ölig?
Warum also nicht Ölfarben mit Zeichenstiften kombinieren? In Deutschland ließ ein Farbenfabrikant namens G. W. Suessner seine Ölmalstifte unter dem Markennamen Creta Polycolor patentieren. Die Produkte setzten sich allerdings nicht durch: Die Farbpalette war zu klein und die fettig-öligen Bindemittel produzierten Falschfarben. Von Suessners Farbenfabrik blieb nur die Marke Creta Polycolor, die heute im Besitz der Firma Staedtler ist.
Mehr Erfolg hatte der französische Maler Jean-François Raffaëlli (1850 -1924) mit seiner eigenen Rezeptur für Ölpastelle. Der Illustrator, Bühnenmaler und Druckgrafiker mischte Öl, Talg und Kakaobutter mit den Pigmenten. Die farbige Masse wurde in Stiftform gegossen. Henri Toulouse-Lautrec nutzte die Raffaëlli-Ölmalstifte sogleich für grafische Arbeiten, der junge Pablo Picasso experimentierte mit den neuartigen Ölpastellen und in Deutschland jubelte der Maler Otto Modersohn: „Ich bin selig! Schnell wie der Gedanke kann man damit arbeiten!“

Mit der aufkommenden expressionistischen und abstrakten Malerei kamen die Raffaëlli-Ölmalstifte aus der Mode. Doch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg tauchten Ölpastelle als künstlerisches Medium wieder auf: nun mit neuen Rezepturen und inspiriert vom mittlerweile 70-jährigen Pablo Picasso. Zwischenzeitlich hatte sich der Weltkünstler weiter mit den Ölstiften befasst. Nun, im Jahr 1949, nutzte er seine Beziehungen und Berühmtheit, um sich vom französischen Farbenfabrikanten Henri Sennelier hochwertige Ölpastelle zu erwünschen.
Von dieser Geschichte gibt es zwei Versionen. Die eine geht so: Im Krieg war die Produktion der Raffaëlli-Ölmalstifte eingestellt worden. Picasso hatte seine Vorräte verbraucht und verlangte nach Nachschub, den Sennelier produzieren sollte. Die Firmengeschichte von Sennelier erzählt jedoch eine etwas andere Geschichte. Demnach war der berühmte Künstler mit der Qualität der Raffaëlli-Ölpastelle nicht zufrieden gewesen wurde deshalb bei Sennelier vorstellig. „Made for Picasso“: Damit wirbt der Hersteller auch heute noch für seine Ölkreiden.
Allerdings brachten bald auch andere Hersteller wie Caran d’Ache, Faber-Castell, Talens oder die japanische Firma Holbein hervorragende Künstlerqualität auf den Markt, und Ölpastelle eroberten sich ihren verdienten Platz neben den Pastellkreiden – in der Kunst ebenso wie im kreativen Hobby.
