Man muss ja nicht immer alles ganz neu machen. Vielleicht schlummert in Ihrer Mappe oder Schublade die eine oder andere Bleistiftzeichnung, der Sie mit Farbstiften zu frischem Leben verhelfen könnten. Wie und warum das mit einem kleinen Trick so wunderbar funktioniert, zeige ich Ihnen am Beispiel dieser Magnolienblüte.
Von Franz-Josef Bettag
Farbstift auf Bleistift?
Bei direktem Kontakt mit dem glatten Grafit würde der Farbstift zu unerfreulich stumpfen und dumpfen Tönen verschmieren. Da hilft es, die Bleistiftzeichnung mit dem Fixierspray zu besprühen. Der Sprühnebel verklebt den Grafit so mit dem Papier, dass er sich nicht mehr verwischen lässt – auch nicht beim Überzeichnen mit dem Farbstift. Dann liegen die farbigen Lasuren separat auf der Grundierung, ohne sich mit dem Bleistift zu vermischen. Auf dieser hauchdünnen, transparenten Schicht reibt der Farbstift so gut ab wie auf reinem Papier.
Damit wird eine ursprüngliche Bleistiftzeichnung zur detailgenauen Vorzeichnung, die auch die Schattenpartien festlegt und tönt. Mit den Farbstiften können Sie einfach den Linien und Schraffuren folgen und diese mehr oder wenig kräftig überzeichnen. Das Grau des Bleistifts scheint unter den lasierend aufgetragenen Farben durch und verleiht ihnen einen feinen silbrigen Schimmer.
Lassen Sie sich von diesem Beispiel zu eigenen Bildern inspirieren!
Dann die Farbstifte
So wird das Kolorieren zu einer einfachen Angelegenheit: Helle bis dunkle Grautöne verwanden sich in helle bis dunkle Farben. Die dunkelgrauen Bereiche (Stängel und Blütenansatz) werden in entsprechend kräftigen Farben überzeichnet. Die lasierenden Schraffuren auf den Blütenblättern (hier in Magenta und Blau) folgen der vom Bleistift vorgegebenen Richtung, die hellsten Partien werden hellblau schattiert und konturiert.
Weiche Soft–Farbstifte (zum Beispiel Color Soft von Derwent oder sogenannte Aquarellfarbststifte) reiben stärker ab und eignen sich zum Kolorieren deshalb besser als harte Typen. Schraffiert wird mit wenig Druck. Zwar kann man mit weichen Farbstiften nicht detailgenau zeichnen, was aber in diesem Fall nicht nötig ist: Diesen Part hat ja schon der Bleistift erledigt.
Was passiert beim …
… Farbauftrag direkt auf Papier?
Die Pigmente im Farbstift sind durch Talkum und Fett gebunden. Durch die Reibung auf dem Papier gibt die Mine Farbe ab, die in die Fasern eindringt und darin haften bleibt. Je rauer das Papier ist und je stärker man andrückt, desto mehr Farbe bleibt hängen.
Auf blankem Papier reibt der weiche Farbstift auch mit wenig Druck gut ab. Die Farben bleiben klar stehen und können in anderen Tönen lasierend überzeichnet werden. So entstehen delikate Zwischentöne.
… Farbauftrag direkt auf Bleistift?
Der ohnehin glatte Grafit wird beim Überzeichnen zusätzlich geglättet. Auf
dieser Rutschbahn gibt es kaum Reibung. Beim schwachen Andrücken gleitet
der Farbstift darüber hinweg, beim starken Andrücken verschmieren Farbe und
Grafit.
Beim Zeichnen direkt auf
Bleistiftschraffuren nimmt
der Farbstift den Grafit mit.
Die Farbe wird stumpf und
verschmiert.
… Fixieren?
Erst das aufgesprühte Fixativ bindet den Grafit fest an die Papierfaser. Deshalb kann er sich beim Überzeichnen nicht mehr lösen und mit der Farbe vermischen. Auch nachträgliches Radieren ist nicht mehr möglich. Wichtig: Halten Sie beim Aufsprühen (am besten im Freien) genügend Abstand.
Auf der fixierten Grundierung greift der Farbstift ebenso gut an wie auf blankem Papier – auf glatten Papiersorten sogar besser. Der Grafit schimmert durch, ohne ansonsten die Textur, Leuchtkraft und Transparenz des Farbstrichs zu beeinträchtigen.
… Lasieren?
Die Farben werden in durchscheinenden Schichten aufgetragen – hier zunächst auf dem fixierten Grafit, dann nach und nach übereinander. Mit zart aufgetragenen Schraffuren kann man die Farbtöne und Tonwerte (den Helligkeitsgrad) gut steuern – beispielsweise Blütenblätter modellieren und ihre filigranen Texturen nachbilden.
Beim Lasieren in unter-schiedlichen Farben entstehen zart changierende Zwischentö- ne, denen der durchschimmernde Grafit einen Hauch von Silber verleiht. Beginnen Sie dabei immer mit den hellsten Farben und tragen Sie auch die letzten (dunkelsten) Töne niemals deckend auf.
Florale Details
Die Vorarbeit hat schon der Bleistift geleistet: Konturen, Texturen, der Verlauf von Licht und Schatten sind fixiert und fertig. Das macht die Feinarbeit mit den Farbstiften zum einfachen Vergnügen: Folgen Sie einfach den Bleistiftspuren!
Dunkelgraue Schraffuren werden in entsprechend dunklen Farben überzeichnet, die hellsten Bereiche nur schwach oder gar nicht. Dafür reicht der lichte Schimmer des Grafits.
Halten Sie sich beim Kolorieren an die Richtung und Stärke der Bleistiftschraffuren, dann modellieren sich die Blütenblätter wie von selbst. Die filigranen Texturen – hier in Magenta und Blau – werden mit spitzem Stift eingezeichnet.
Blau ist ein wunderbarer Schattenton, der im Zweifelsfall fast immer passt – besonders gut aber für weiße Objekte (denken Sie an die bläulichen Schatten im Schnee). Mit der leicht abgeplatteten Mine des weichen Farbstifts kann man die Schatten weich ins Licht auslaufen lassen, ohne einzelne Striche zu hinter-lassen. Zarte blaue Konturen grenzen die weißen Blütenblätter vom Hintergrund ab.
Fertig?
Vielleicht noch nicht ganz. Denn für letzte Feinheiten ist wiederum der (weiche) Bleistift zuständig, der auch auf Farbstiftschraffuren gut abreibt.
Damit lassen sich Schatten nachträglich abdunkeln und Details verstärken. Umgekehrt können Sie mit dem Radierstift dunkle Farben aufhellen und Kontraste abschwächen. Die darunter liegende Bleistift-zeichnung ist durch die Fixierung geschützt und bleibt unversehrt.
Noch einmal zum Vergleich
Die ursprüngliche Bleistiftzeichnung, im linken Bild als Vorstufe für eine Farbstudie.
In der kolorierten Version rechts wirkt der Bleistift aufs Feinste mit. Die mehrfarbigen Lasuren bringen die filigranen Formen und Texturen noch deutlicher zum Vorschein.
Landschaften, Blumen, Stillleben, Tiere
Was immer Sie an archivierten Bleistiftzeichnungen vorfinden, eignet sich zur farbigen Wiederbelebung. So wie zum Beispiel dieses Kätzchen, schon mit Bleistift ein Wunder an Niedlichkeit. Natürlich können Sie geeignete Motive auch gezielt als Vorstufe für die farbige Ausführung zeichnen, mehr dazu weiter unten.
Minka
Zurzeit sind es, glaube ich, zwölf zugelaufene Katzen, Kater und Kätzchen, die zahm oder halbwild Haus und Garten bevölkern; um Futter, ärztliche Versorgung, Sterilisation kümmert sich, wenig überraschend, vor allem meine Frau. Dieses Kätzchen allerdings hat mich lange Zeit beständig ins nahe Atelier begleitet – immer in der vergeblichen Hoffnung auf ein lustiges Spiel mit meinen Pinseln und Stiften. Daher dieser sehnsüchtige Blick und die erwartungsvolle Pose, in der mir Minka unwillentlich Modell stand für eine kolorierte Bleistiftstudie.
Darf ich Ihnen Minka ans Herz legen?
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