Licht erhellt die Welt – braucht aber Dunkelheit, um sichtbar zu werden. In der Zeichnung liefern Schattenschraffuren den nötigen Kontrast. Was sich mit Bleistift auf „lichtem“ Papier Erstaunliches bewirken lässt, zeigt das Künstlerduo Peter Boerboom und Tim Proetel in ihrem faszinierenden Buch. Eine Empfehlung für Kunstinteressierte und kreative Praktiker.

In manchen sakralen Bauten ist das Licht Träger des Göttlichen und tritt durch eine Öffnung in der Kuppel ein. Der Lichtkegel beschreibt im Tagesverlauf eine Bahn quer durch den Raum.
Zweidimensionale Flächen verwandeln sich in dreidimensionale Objekte und eröffnen dadurch Räume – eine unwiderstehliche optische Illusion. Beim Zeichnen und Malen ist das zwar eine alltägliche Erfahrung. Doch in den Licht- und Schattenstudien der Künstler kommt die Magie dieses Geschehens besonders deutlich zur Erscheinung. Das demonstrieren die Autoren auf 170 Seiten (und in fast ebenso vielen Zeichnungen) auf anschauliche wie unterhaltsame Weise: Licht als Illusion aus Hell und Dunkel.

Diese unwiderstehliche optische Täuschung rührt daher, dass die visuelle Wahrnehmung sozusagen hinter dem Rücken des Bewusstseins tätig wird. Ohne dass wir es mitbekommen, schließt das Gehirn aus wenigen Informationen auf ein sinnvolles Ganzes. Was wir schließlich im Bild erkennen, ist das Ergebnis dieses Prozesses. Und siehe da: Die papierweiße Umgebung wird zur beleuchteten Ebene, die sich mit hell und dunkel schraffierten Flächen zu einer Grube vertieft.

Der Eigenschatten setzt die Skulptur ins Licht, der Schlagschatten stellt sie auf festen weißen Boden und dank der abgewinkelten Form des Schattens erscheint die schraffierte Fläche als senkrechte Wand.

Körperschatten (oder Eigenschatten) erscheinen auf der dem Licht abgewandten Seite eines Objektes. In diesem Beispiel sind das eigentlich nur schraffierte Rundungen. Dennoch können wir nicht anders, als uns einen Reim auf die dunklen Formen zu machen: Wir interpretieren sie als Schatten und ergänzen die fehlenden Umrisse gedanklich. Wie zwingend diese Illusion sein kann, erleben wir beim Versuch, in dieser Zeichnung etwas anderes zu erkennen als einen Ring.
All die faszinierenden Bildbeispiele sprechen mehr oder weniger für sich selbst, und so reichen zum Verständnis die knappen Hinweise in den Bildunterschriften. Das macht dieses Buch zu einem Bilderbuch der besonderen Art für alle, die sich für Bild und Kunst interessieren: Seite für Seite erlebt man die Magie grafischer Illusionen unter immer anderen Aspekten. Auch wenn man weiß, wie das alles zustande kommt, kann man sich ihrem Zauber kaum entziehen. Und bekommt auch beim Betrachten von Meisterwerken eine Ahnung davon, wie große Maler Licht und Raum in ihre Bilder bringen.

Doch hat das Buch auch eine praktische und lehrreiche Seite. Denn die Bildbeispiele inspirieren gleich einmal zu eigenen grafischen Versuchen mit Papier und Bleistift. Beim Nachvollziehen erfährt und erlebt man, wie das Zusammenspiel von Licht und Schatten funktioniert, und wie man diese räumlichen und plastischen Effekte gezielt einsetzen kann: sowohl in einzelnen Übungen, als auch in den Details und Elementen eigener Zeichnungen.

Peter Boerboom und Tim Proetel:
Licht: Illusion aus Hell und Dunkel
Wie kommt das Licht in die Zeichnung?
176 Seiten – 29,90 Euro